Hier der Videolink zur Sendung aus der ARD Mediathek.
Anbei die Presseerklärung der Kanzlei Stirnweiss, Stege & Coll. zu dem spektakulären Fall der prügelnden Polizisten aus Stuttgart:
Polizeigewalt an Herrn Gökhan A.
Presseerklärung der Rechtsanwälte Stirnweiss, Brandt und Grimm, Kanzlei Stirnweiss, Stege & Coll., Stuttgart – 24. Juli 2018
Auf ausdrücklichen Wunsch unseres Mandanten bestätigen wir, Herrn Gökhan A. als Geschädigten in den gegen Polizeibeamte des Landes Baden-Württemberg geführten Strafverfahren zu vertreten und ihn gleichzeitig in dem gegen ihn gerichteten Strafverfahren wegen des Vorwurfs des Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte zu verteidigen. Außerdem ist unsere Kanzlei in einem vor dem Landgericht Stuttgart gegen das Land Baden-Württemberg geführten Schadensersatzverfahren für Herrn Gökhan A. legitimiert.
Anlass für den Entschluss unseres Mandanten, wegen des am 19. Februar 2017 auf ihn verübten polizeilichen Übergriffs auch an die Öffentlichkeit zu treten, ist seine Sorge vor einer in der Sache nicht zu rechtfertigenden Verschleppung der Aufarbeitung dieses Aktes willkürlicher Polizeigewalt und vor einer dies begleitenden abwiegelnden Informationsstreuung.
Tatsächlich ist nach anfänglich gründlich geführten Befragungen und Erhebungen seit über einem Jahr ein gewisser Stillstand und eine wachsende Intransparenz der Ermittlungen festzustellen, die durch sachgerechte Abläufe nicht erklärbar sind.
Während die Staatsanwaltschaft Stuttgart bis Ende 2017 gegen drei der vier erwiesenermaßen direkt an dem Vorfall beteiligten Polizeibeamten zunächst wegen Körperverletzung im Amt und Verfolgung Unschuldiger eingeleitete Ermittlungsverfahren häppchenweise eingestellt hat, werden die gegen Herrn A. eingeleiteten Ermittlungen wegen ihm zur Last gelegten Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte noch immer weitergeführt. Vor allem, dass das Verfahren gegen einen Beamten, der einen massiven Schlagstockeinsatz durchgeführt hatte, eingestellt wurde, macht kritische Nachfragen an die Strafverfolgungsbehörden für uns zu einer Selbstverständlichkeit.
Trotz Vorliegens sämtlicher wesentlicher Ermittlungsergebnisse vor bereits über einem Jahr, wurde seitens der Staatsanwaltschaft Stuttgart erst zum 18. Mai 2018 Anklage gegen einen der beteiligten Polizeibeamten wegen gefährlicher Körperverletzung im Amt u.a. erhoben sowie diese nach weiteren Verzögerungen nun mit Beschluss des Amtsgericht Stuttgart vom 12. Juli 2018 zugelassen und es sind dort zwei mit Spannung erwartete Verhandlungstermine auf den 27. September und 02. Oktober 2018 bestimmt worden.
Aufgrund unserer alltäglichen Verteidigertätigkeit haben wir großen Respekt vor all jenen vielen Polizeibeamten, die tagtäglich ihren sehr anspruchsvollen Dienst professionell und ohne einen Anlass für berechtigte Beanstandungen ausüben. Auch erleben wir die Polizeiführung in Stuttgart als insgesamt offen und engagiert. Wir sind jedoch zugleich der Überzeugung, dass es selbstverständliche Aufgabe der Strafermittlungsbehörden ist, strafwürdiges Handeln ohne Ansehung der Person und der Berufsgruppe gleichermaßen zeitnah auszuermitteln und einer Sanktionierung zuzuführen. Dies gerade dann, wenn in Einzelfällen Polizeibeamte in Ausübung ihres Dienstes betroffen sind und Gesetze und Vorschriften missachten. Denn diese Einzelfälle sind es, die letztlich dem Ansehen der Polizei erheblichen Schaden zufügen und zudem intern Polizeibeamte in kritische Situationen bringen, wenn nicht innerhalb der Polizeistrukturen wie von außen, transparent und zügig Ermittlungen geführt und gebotene Konsequenzen gezogen werden.
Im Kontext dieser – lediglich durch Zufall von Dritten aufgezeichneten – polizeilichen Übergriffe auf unseren Mandanten betrachten wir mit Sorge Forderungen nach einem insgesamt härteren polizeilichen Vorgehen, wie etwa kürzlich in einem von Autoren aus dem Landesamt für Aus- und Fortbildung (LAFP) der nordrhein-westfälischen Polizei formulierten Positionspapier (siehe Bericht des SPIEGEL vom 27. Februar 2018, „Dein robuster Freund und Helfer“), in welchem an Polizeibeamte die Erwartung geäußert wird, u.a. an „…Robustheit deutlich zuzulegen…“.
Wir sehen in solchen Appellen die Gefahr begründet, dass es für Polizeibeamte in Zukunft künftig vorrangig um „konsequentes Einschreiten“ und nicht um Deeskalation, z. B. durch geschulte Kommunikation, gehen soll. Durch solche Töne können sich Polizeibeamte, zumal wenn sie einsatzbedingt unter Stress geraten, herausgefordert fühlen, in Konfliktsituationen ohne Notwendigkeit gewaltsam zu agieren.
Ein weiteres Problem ergibt sich aber auch für Polizeibeamte selbst: Wenn einerseits „robuste“ Verhaltensweisen von ihnen allgemein gefordert, andererseits aber Grenzüberschreitungen wie im vorliegenden Falle unseres Mandanten nicht konsequent und schnell aufgearbeitet werden, so geraten all jene Polizeibeamte, die eindeutige und wahrheitsgemäße dienstliche Stellungnahmen abgeben, in große Schwierigkeiten, die ihnen eine konsequente und zügige Rechtspflege ersparen sollte. Unbedingt zu vermeiden gilt es jeden Druck auf Polizeibeamte, Äußerungen straffällig gewordener Kollegen zur Leitschnur eigener Angaben und dienstlicher Erklärungen machen zu müssen.
Da Polizeibeamten, insbesondere auch vor Gericht, stets ein erhöhter Vertrauensvorschuss entgegengebracht wird, droht, sind ihre Aussagen unwahr, unvollständig oder zumindest entstellend, ein Fall gar nicht erst zur Aufklärung zu gelangen bzw. oft eine falsche Verurteilung des eigentlich Geschädigten.
Wäre im Falle unseres Mandanten das später bekannt gewordene Video nicht vorhanden, so hätten die anfänglich „moderierten“ Polizeiaussagen sehr wahrscheinlich schon zur einer nicht unerheblichen Verurteilung unseres tatsächlich geschädigten Mandanten wegen z.B. Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte geführt. Eine solche Konstellation kann jeden Bürger treffen und bedarf deshalb einer erhöhten Aufmerksamkeit wie sachgerechten Behandlung aller Beteiligten in unserer Gesellschaft.
Wir erwarten deshalb vom Land Baden-Württemberg nicht nur für diesen konkreten Fall ein klares Bekenntnis gegen jede Form willkürlicher Polizeigewalt und die Beaufsichtigung einer konsequenten internen Bearbeitung sowie von der Staatsanwaltschaft eine objektive und zeitnahe strafrechtliche Aufarbeitung des Verhaltens aller an diesem Polizeieinsatz Beteiligter.
„Report Mainz“ danken wir für die professionelle journalistische Aufarbeitung dieses gesellschaftlich brennenden Themas.
Anfragen zum Stand der Ermittlungs- und Gerichtverfahren bitten wir direkt an die Pressestellen der Staatsanwaltschaft Stuttgart und des Landgerichts Stuttgart zu richten. Soweit weitergehende Fragen an die Verteidigung gestellt werden sollen, empfehlen wir eine Kontaktaufnahme über die Mail-Adresse: ra.stirnweiss@stcoll.de.
Gez.
Martin Stirnweiss – Fachanwalt für Strafrecht
Kristina Brandt – Fachanwältin für Strafrecht
Albrecht Grimm – Fachanwalt für Strafrecht